Saturday, August 31, 2013

Fünf Kilo in acht Tagen

90 Minuten in einem Flugzeug und zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein können. Hier noch die so genannten Tigerstaaten, Ausdruck von Moderne und wirtschaftliche Zugmaschinen Südaostasiens. Dort auf einmal die dritte Welt. Kambodscha ist der gewollte Kontrast zu einer Woche Hongkong und einem so modernen Stadtstadt wie Singapur.

Bei schönstem Sonnenschein landen wir in Phnom Penh. Das erste das sofort auffällt ist der Geruch Südostasiens. Ich rede jedoch keineswegs über Blütenduft oder etwa den Geruch von reifen Mangos. Vielmehr riecht es nach dem Verlassen des Flughafens nach verbrennendem Plastik. Schlagartig erinnern wir uns an diese Unsitte, die wir bereits in Malaysia und auf den Philippinen gesehen und vor allem gerochen hatten.

Wir nehmen uns eines der typischen Tuk Tuks anstelle eines Taxis. Tausendfach knattern Mopeds und Tuk Tuks über die holperige Hauptstraße vom Flughafen in die Innenstadt. Links und rechts reihen sich Blechhütte an Blechhütte, Holzhütte an Holzhütte. Davor bieten die Straßenhändler Gemüse, Fleisch, Autoreifen, Holzstühle oder Handys an. Es ist laut, es ist staubig und wir sind erschlagen. Zu unserer Überraschung können die meisten der Menschen recht gut Englisch. Unser Fahrer entpuppt sich als Plaudertasche und gibt uns eine erste geführte Stadtrundfahrt. Nach einer halben Stunde erreichen wir unser Hostel, das vor allem mit einem Außenpool, kaltem Bier und tollem Essen punkten kann.

Flughafen Singapur

Kambodscha zählt nach wie vor zu den ärmsten Staaten der Erde. Die Korruption ist allgegenwärtig. Wer etwa wie ich für das Visum kein Passbild bei der Einreise dabei hat, hilft durch einen oder zwei Dollarscheine nach und schon steht dem Einreisevisum nichts mehr im Wege. Noch ein Beispiel: Mopedfahren etwa ist für Ausländer in Kambodscha verboten. Auch hier ändern einige Dollarscheine jedoch schnell die Meinung des diensthabenden Polizisten. Die Preise in Kambodscha sind – trotz deutlicher Inflation – nach wie vor extrem gering. Ein Abendessen inkl. Getränken ist durchaus bereits für drei Euro zu haben. Ein Tuk Tuk Fahrer für einen Tag kann man bereits ab zehn Dollar bekommen.

Der erste volle Tag in Phnom Penh steht für uns vor allem im Zeichen der erschreckenden jüngeren Geschichte des Landes. Diese ist geprägt durch den Namen Pol Pot und seine Roten Khmer, die ab 1976 einen Steinzeitkommunismus in Kambodscha einführen wollten. Die Städte wurden entvölkert, Menschen mussten aufs Land ziehen und Feldarbeit verrichten. Intellektuelle wurden verfolgt, gefoltert und zu großen Teilen hingerichtet. Als vietnamesische Truppen nach nur drei Jahren Phnom Penh eroberten, waren 2,2 Millionen Menschen der kurzen Herrschaft von Pol Pot zum Opfer gefallen. Der Großteil dieser Menschen gehörte der sogenannten Intelligenz an. Von diesem Aderlass erholt sich Kambodscha nur langsam. Wir besichtigen das Internierungslager S21, eine ehemalige Schule, in der bis zur letzten Minute 1979 Menschen gefoltert wurden sowie die sogenannten Killing Fields vor den Toren der Stadt. Hier befinden sich unzählige Massengräber, zum Teil heute noch ungeöffnet.

Gedenkstätte auf den Killing Fields in Choeung Ek
Folter- und Verhörzentrum S21
Nach diesem deprimierenden ersten Tag in Phnom Penh führt uns die Route in den Norden Kambodschas, zu unserem eigentlichen Ziel – den Ruinen von Angkor Wat. Ein Mini-Van, der bis auf den letzten Platz mit Mensch und Gepäck vollgestopft wird, bringt uns auf einer Schlaglochpiste nach Siem Riep, dem Ausgangsort für die Touren in die unzähligen Tempelanlagen um Angor Wat. Wir kommen in einem Khmer geführten Guesthouse unter, das rückblickend den mit Abstand besten Eindruck bei uns hinterlässt. Jeder ist bemüht, dass es uns an nichts fehlt. Das Hotel stellt uns für die kommenden beiden Tage einen Fahrer zur Verfügung, der auf Zuruf bereit steht und uns in die Tempel oder die Innenstadt von Siem Riep fährt. Unsere erste Station in den Tempelanlagen ist Angkor Thom, eine der ehemaligen Hauptstädte des Angkorreiches. Angkor war zwischen dem neunten und 15. Jahrhundert geistiges und politisches Zentrum der Khmer. Jeder Herrscher ließ sich eine eigene Tempelstadt in Angkor errichten. Im Umfeld der mehr als 1.000 Tempel von Angkor sollen einst mehr als eine Million Menschen gelebt haben, was zu dieser Zeit keine europäische Stadt geschafft hat. Die ganze Geschichte und die Besonderheiten der Anlagen hier wiederzugeben ist unmöglich. Nur soviel: Angkor Thom lockt vor allem durch seine Gesichtertürme des Haupttempels Bayon. Stundenlang streifen wir durch die dunklen Gänge und Hallen des Tempels, schießen zu viele Fotos und staunen über die vielen Details.


 
Über Ta Promh, einer beinahe verwunschenen Tempelanlage, die sich die Natur weitestgehend zurückerobert hat und die überdies Kulisse für den Film Tomb Raider war, fährt uns unser Fahrer Ray endlich nach Angkor Wat. Unser ständiger Begleiter – nicht nur auf dieser Fahrt – sind tausende Mücken, die hinterhältig im dampfenden Dschungel, im Tuk Tuk, in den Tempeln und davor auf uns lauern. Vor allem ich werde während der Tage in Siem Riep ungehemmt zerstochen. Die Alternative dazu sind feuernde Arme und Beine – Ergebnis des einheimischen Mückensprays, der Unmengen des in Deutschland kaum noch verbreiteten Wirkstoffs DEET enthält. Zumindest meine zarte Bürohaut reagiert darauf mit freudigem Ausschlag.

 

Der erste Eindruck von Angkor Wat: Ratlos. Ein Wow-Gefühl wie etwa am Machu Pichuu in Peru oder meinetwegen am Grand Canyon will sich nicht einstellen. Fast schämen wir uns, dass wir weit gereist aber nicht überwältigt sind. Immerhin handelt es sich um die größte Tempelanlage der Erde. Erst der Gang in den Tempel lässt von der einstigen Größe und Schönheit ahnen. Wir sind durchaus beeindruckt, auch weil das regnerische Wetter die Anlage in eine eigenartige Stimmung versetzt. Überwältigt sind wir trotz der Größe jedoch nach wie vor nicht. Erst am nächsten Morgen, als wir auf Geheiß von Ray 4:30 Uhr morgens erneut den Weg nach Angkor Wat antreten, um Zeuge eines durchaus soliden Sonnenaufgangs zu werden, kommt so etwas wie leichte Ehrfurcht bei uns auf.

Unser Fahrer Ray
Dafür sind wir von den Menschen in Siem Riep umso mehr angetan. Gerade nach den bedrückenden Besichtigungen der Killing Fields und S21 erfreuen wir uns an der neuen Generation Kambodschas. Siem Rieps Bevölkerung ist jung, aufgeschlossen, humorvoll und gebildet. Es wird viel gelacht. Wir werden angesprochen. Mehr als einmal ergeben sich kurze lustige Gespräche über Herkunft, Erlebtes und kommende Reiseziele. Alle versprühen eine positive Energie. Und vor allem starren uns die Menschen nicht mehr an als seien wir Außerirdische. Alles in allem verlassen wir Siem Riep mit gutem Gefühl und hoffen, dass Kambodscha in den kommenden Jahren eine positive Entwicklung nehmen wird.

Wir brechen auf zu unserer letzten Station in Kambodscha, nach Sihanoukville am Golf von Thailand. Dass aus dem siebenstündigen Direkt-Nachtbus eine 16-Stunden Fahrt mit mehreren Unterbrechungen und Buswechsel in Phnom Penh wird, buchen wir unter normalem asiatischen Reisealltag ab. Schließlich erreichen wir Sihanoukville und beziehen unseren Bungalow am Hang mit Blick auf das blaue, wenn auch nicht ganz so saubere Meer. Denn natürlich leiten auch die Menschen in Kambodscha ihre Abwässer nach wie vor an den eigenen Badestrand. Eine geeignete Badestelle zu finden fällt uns schwer. Anstatt bunten Fischen kommen uns viele rote und weiße Plastiktüten entgegen. Die kommenden Tage verbringen wir vor allem mit süßem Nichtstun, Schlafen, Lesen und Kennenlernen anderer Reisender. Der tägliche Regen – immerhin ist Regenzeit – nimmt uns die Entscheidung ab, wie aktiv wir hier sein wollen. Am letzten Tag in Sihanoukville raffen wir uns doch noch einmal auf und besuchen einen Kochkurs. Dort werden wir von einer professionellen Köchin und ihrer süßen Tochter zu semiprofessionellen Khmerköchen ausgebildet.

 
Am Morgen des Abreisetages macht sich bei mir ein erstes Unwohlsein bemerkbar. Innerhalb weniger Stunden wächst sich das Unwohlsein auf der Fahrt nach Phnom Penh zu einem stattlichem Fieber und zünftigen Gliederschmerzen aus. Den Flug nach Singapur verschlafe ich komplett. Am Flughafen Singapur suchen wir etwas besorgt einen Arzt auf, der zunächst nur einen allgemeinen Infekt diagnostiziert und Ibuprofen und Halstabletten verschreibt. Erleichert verbringen wir unsere zweite Nacht am Flughafen Singapur, von wo wir am Morgen nach Malaysia aufbrechen wollen. Dennoch begleiten mich Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen sowie ein Hautausschlag noch die kommenden acht Tage nach Melacca in Malaysia, zurück nach Singapur und schließlich nach Bali. Weder von Melacca, noch von Singapur sehe ich etwas und so muss Nicole beide Städte leider alleine erkunden. An Essen ist nicht zu denken. Erst in Bali, fünf Kilo leichter und nachdem alle typischen Symptome wieder abgeklungen sind, erkennt die dortige Ärztin aus einem Bluttest, dass ich mir aus Angkor Wat höchstwahrscheinlich das Dengue Fieber mitgebracht hatte. Von dieser vergleichsweise harmlosen wenn auch nicht gerade angenehmen Tropenkrankheit genesen, nehmen wir in Bali Claudia und Nico freudig in Empfang und brechen zu unserem nächsten Abenteuer nach Indonesien auf.

Letzter Bluttest vorbei - alles im grünen Bereich

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