Monday, July 29, 2013

Chinesische Momente Teil 2


Über Chengdu, wo wir eine Pandaaufzucht besuchen, geht es mit dem Schnellzug nach Chongqing. In Chengdu lernen wir Kien kennent, einen 18-jährigen Chinesen aus Chongqing, der anbietet, uns in seiner Heimatstadt herumzuführen und uns in die Geheimnisse des Hotpot einzuführen. Spät am Abend erreichen wir die Megametropole am Jangtse. Die Stadt hat unglaubliche 38 Millionen Einwohner und die Größe von Österreich. Fairerweise muss man hinzufügen, dass dabei auch unzählige Dörfer, Felder und Wälder mit inbegriffen sind. Doch selbst die eigentlich Kernstadt Chongqing ist mit rund sieben Millionen Menschen und tausenden Wolkenkratzern beeindruckend genug. Die Innenstadt muss sich vor Hongkong, Kuala Lumpur oder Singapur nicht verstecken. Chongqing gilt neben Shanghai als zweitteuerste Stadt Chinas. Sie ist zudem die Hauptstadt des Hotpot, einer Art Fondue aus Chilliöl, in das man Fleisch oder Gemüse reinhält und garen lässt. Innenschriften an Toilettenwänden lassen allerdings eher den Schluss zu, dass es sich bei der Toilette am nächsten Tag um den eigentlichen Hotpot handelt. 

 
Neben der Schärfe des Essens ist es in China durchaus relevant, was man zum Essen vorgesetzt bekommt. Als wir uns mit Kien in dem durchaus edlen Hotpot Restaurant setzen witzel ich herum, ich könne ja mal wild auf der Karte herumzeigen, was wir wollen. Alle lachen herzhaft, auch Kien. Nachher kommen vielleicht noch so krude Dinge auf den Tisch wie Affenhirn, Rinderherz oder Schweineeier. Daher überlassen wir Kien lieber die Bestellung. Als das Essen kommt, sind wir sichtlich erstaunt über die verschiedenen Dinge, die sich uns da bieten. Kien hat für uns folgende Leckereien bestellt: Schafsmagen, Gänsedärme, Schafsgaumen und zur Krönung der Essens Achilessehne vom Schwein. Daneben gibt es noch ein paar banale Dinge wie Rindfleisch, Würstchen und Gemüse. Kien fordert uns mit Engelsblick und unnachgiebigen Lächeln immer wieder auf, von all den Köstlichkeiten zu probieren. Wie kann man da Nein sagen? Konsistenz, Geschmack, allein der Gedanke daran, auf was man da kaut, sind grenzwertig. Ich esse selten so viel Gemüse zu Abend. 

Vielmehr gilt Chongqing jedoch als Ausgangspunkt für Schiffstouren über den Jangtse durch die drei Schluchten bis hin zum Drei Schluchten Staudamm. Der Staudamm hat das Leben der Chinesen um den Jangtse stark verändert. Um rund 100 Meter Höhe wurde das Wasser aufgestaut und das auf einer Länge von mehreren hundert Kilometern zwischen dem Staudamm und der Stadt Chongqing. Die Schluchten sind daher nicht mehr so tief und atemberaubend wie noch Anfang der 90er Jahre, aber dennoch nicht minder beeindruckend. Während das Hinterland des Damms aufgestaut und geflutet wurde, wurden mehr als 20 Städte im Verlauf des Jagtse überspült und an anderer Stelle wieder aufgebaut. 1,3 Millionen Menschen wurden offiziell umgesiedelt. Die alten Städte liegen heute noch am Grund des neuen Jangtse. Entsprechend aufgeladen war die Debatte um den Staudamm nicht nur in China, sondern auch im Rest der Welt. Erste Planungen für den Damm reichen übrigens bereits bis in die 1920er Jahre zurück. Ziel war es vor allem, der ständigen Überschwemmungen Herr zu werden und den nicht enden wollenden Energiehunger der Chinesen zu befriedigen. Beides hat zweifelsfrei funktioniert.

Auch wir buchen uns eine solche Tour durch die Drei Schluchten und – das wollte ich immer schon mal schreiben – schiffen uns ein und zwar für die kommenden drei Tage, auf einer der chinesischen Flussfähren. Gemeinsam mit fünf Dänen, einem Argentinier, zwei Schweizern und einem Briten sowie ungefähr 400 Chinesen führt die Route flussabwärts durch beeindruckende Schluchten, immer mal wieder unterbrochen durch vergleichsweise sinnbefreite Besichtigungen irgendwelcher Städte oder Tempel. In unseren Augen dienen diese Ausflüge vielmehr dem Drang der Chinesen, ständig etwas essen zu müssen oder zu wollen. Und so bestürmen uns bei jedem Ausflug, sofort nachdem wir im Hafen angelegt haben, hunderte fliegende Händler und bieten alle möglichen Speisen an, die von den Chinesen gierig gekauft und verschlungen werden.
Unser Boot gehört nicht unbedingt zur Luxusklasse. Kaum verwunderlich stellt uns unsere Kajüte daher erneut vor eine weitere Prüfung der chinesischen Art. Denn das Loch im Badezimmer, genannt Toilette, stinkt nicht nur zum Himmel, es muss vor allem auch benutzt werden. Der Hotpot aus Chongqing fordert nach wie vor seinen Tribut. Die Nächte werden zur Qual. Es ist, als ob man neben einer Kläranlage schläft. Unseren chinesischen Mitbewohner, natürlich passionierter Raucher, stört die Geruchsbelästigung nicht im Geringsten. Friedlich schläft er in voller Tagesbekleidung ein. Wir bekommen hingegen kaum ein Auge zu und fragen uns, ob bei aller Budgetvorsicht nicht doch ein anderes Schiff besser gewesen wäre. Doch wir schaffen auch diese Hürde, sind stolz und kehren nach einer ausgiebigen Besichtigung des Staudamms per Bus und Schnellzug nach Shanghai zurück. Sam verabschiedet sich nach einer letzten kulinarischen Stadtführung auf Heimaturlaub nach Los Angeles. Wir hingegen genießen unsere letzten beiden Tage in Shanghai, bevor uns das ATW-Ticket zu unserer nächsten Station nach Hongkong bringt. 

 

Saturday, July 27, 2013

Hilariously Large Items Being Transported on Entirely Too Small Vehicles

As I continue to organize my impressions of China (I know, I'm painfully slow) while simultaneously recovering from what I am convinced is a combination of an X-Files-style parasite and malaria (though what is more likely a combination of too much spicy food and a too-much-air-conditioning-induced cold), I thought I'd at least share with you some of the most entertaining parts of the country, according to us.

As a first in this series, here are quite a few hilarious moments in which we witnessed very large things or groups of things being transported by entirely too tiny vehicles.

Office chairs and boxes in Shanghai

Sacks of vegetables in Ningbo

Plastic crates in Beijing

Kind of small, but hugely smelly trash in Xi'an

Broken furniture in Chengdu

A mysterious, long package in Chengdu

More trash (I think?) in Chengdu

And my all-time favorite:

So. Many. Chairs. In Ningbo

I'd say it was my favorite trend in China, but you'll have to see the next one of these posts to understand my hesitation...

Monday, July 22, 2013

Chinesische Momente

Nach den ersten Tagen, in denen wir in Sams Gastgeberwatte gepackt werden und uns wenig Gedanken machen müssen, geht unsere Reise nun vorerst alleine weiter. Ein Lächeln macht sich breit, als wir vor einem original deutschen ICE stehen, der uns mit 305 km/h in sieben Stunden über 1.800 Kilometer von Ningbo nach Peking bringt. Auf dem Weg wird klar, was mit dem chinesischen Boom der letzten Jahre gemeint ist. Zigtausende Hochhäuser, die in uns völlig unbekannten Städten entlang der Strecke gebaut werden, neue Straßen, Brücken, Bahnhöfe. Jede Stadt ist riesig. Zwischen den Städten erstrecken sich auf hunderten Kilometern bewirtschaftete Felder. Scheinbar jede Woche eröffnen neue U-Bahn- oder Schnellzuglinien, die teilweise noch nicht einmal in der Karte verzeichnet sind. Die andere Seite ist, dass China aktuell vor dem Platzen dieser Investitionsblase steht. Ein Großteil der Ausländer, die hier leben, bringt das Ersparte bereits außer Landes. Denn alle haben die Angst, wenn Chinas Banken kippen, dann trifft es zuerst die Ausländer. Ein weiterer Seitenhieb: Die Datenautobahn hält mit der beeindruckenden verkehrlichen Infrastruktur leider nicht mit. Im Internet zu sein ist in China eine Qual. Das liegt zum einen an der chinesischen Paranoia, im Internet gingen ungehörige Dinge vor, die die nationale Sicherheit bedrohen. Facebook oder private Blogs sind daher von Vornerhein gesperrt. Dennoch sitzt in den Hostels natürlich jeder Reisende vor seinem Rechner und probiert es trotzdem. Wer bereit ist Geld auszugeben, der lädt sich ein Verschlüsselungsprogramm herunter, mit dem man über ausländische Server dann doch auf die entsprechenden Seiten kommt.


Trauriger Nebeneffekt der elektronischen Kommunikation ist übrigens der Umstand, dass im Unterschied zu meiner ersten längeren Südamerikareise vor über sieben Jahren in den Hostels weniger miteinander gesprochen wird als vielmehr auf den Bildschirm gestarrt. Wurde sich damals vor allem über Reiseerfahrungen ausgetauscht, zum Abendessen verabredet oder schlicht friedlich gesoffen, gilt das Interesse jetzt vor allem dem Internet. Fast alle sitzen in den Bars, an der Rezeption oder der Hostellounge und beschäftigen sich zunächst mit dem eigenen Notebook. Hostels verlieren dadurch leider enorm an Atmosphäre.

Es folgen aufregende und unvergessliche Tage in Peking, Xi´an und Chengdu. In Peking besuchen wir den Platz des Himmlischen Friedens, die Verbotende Stadt und natürlich die Chinesische Mauer, die uns wirklich erschlägt. Selten haben wir etwas so Überwältigendes gesehen. Bis zu drei Millionen Menschen haben an der Mauer gearbeitet und sie nach über 300 Jahren Bauzeit mit einer stattlichen Länge von 6.000 Kilometern und einer Höhe von bis zu 12 Metern beendet. Der Tiananmen Platz wird wie erwartet von einem riesigen Polizeiaufgebot und Kameras überwacht. Sam meint dazu, von den jungen Chinesen weiß so gut wie keiner mehr etwas vom Aufstand 1989 auf dem Platz. Auch das ist das Ergebnis der Internetblockade. Ebenso abrupt kühlt eine lustige Abendrunde ab, wenn sich die Frage stellt, ob Taiwan zu China gehört oder nicht. Einige Reisende berichten davon, dass sie ihren Lonely Planet bei der Einreise entweder ganz abgeben mussten oder zumindest die entsprechenden Seiten über Taiwan herausreißen.

In Xi´an besuchen wir die Terrakottakrieger. Auch dieser Besuch ist unvergesslich. Selbst wenn erst ein Viertel des gesamten Areals freigelegt ist, sind bereits jetzt mehrere tausend dieser unterirdischen Krieger wiederhergestellt und formieren sich zu einer beeindruckenden Armee. Sie alle bewachen die sterblichen Überreste von Kaiser Qin Shi Huang. Er selbst liegt in einem noch ungeöffneten Mausoleum zwei Kilometer entfernt. Angeblich soll es darin weitere Verteidigungsanlagen und Flüsse aus Quecksilber gegeben haben. Rund 700.000 Arbeiter sollen an dieser Grabstadt gebaut haben. Zum Dank durften sie nach getaner Arbeit ableben und wurden gleich mit in der Grabesstadt beerdigt. Bevor wir nach Chengdu weiterreisen, wo wir eine Pandaaufzuchtstation besuchen, schlendern wir noch über die wiederhergestellte Stadtmauer von Xi´an. Die Mauer, die sich im Quadrat um die Innenstadt schließt, hat eine Gesamtlänge von 14 Kilometer. Wer will, kann die Mauer sogar mit dem Fahrrad abfahren. Von hier oben bietet sich ein seltener Einblick in die Häuser der Einheimischen, aber auch auf den drückenden Smog, der nicht nur über dieser Stadt liegt. Bis auf die ersten Tage in Ningbo haben wir nirgendwo mehr den blauen Himmel gesehen. Wir versuchen, den Gedanken beiseite zu schieben, permanent dieser giftigen Suppe ausgesetzt zu sein. Und ginge es nur um die Luft, würden wir auf der Stelle weiterreisen. 


Ziel einer solchen Reise ist es natürlich, die einheimische Kultur zumindest ansatzweise kennenzulernen. Da das aufgrund der nahezu unmöglichen Kommunikation zwischen uns und den Chinesen ausgeschlossen ist, bin ich fast etwas froh, dass wir auf unserem Weg von Xi´an nach Chengdu keinen Schnellzug mehr bekommen, sondern nur noch zwei der wenigen Restplätze in der günstigsten Zugklasse eines Bummelzuges. 16 Stunden Fahrt in einem unbequemen Eisenbahnwaggon mit vielen Einheimischen quer durch das chinesische Hinterland versprechen tolle Beobachtungen. Und wir werden nicht enttäuscht. So ungeschönt wie möglich erhalten wir einen grandiosen Einblick in die Verhaltensweise der Chinesen, die uns nach ewigen 16 Stunden zum einen staunend, zum anderen aber mindestens genauso verstört zurücklassen.

Auf uns bricht ein Potpourri der abstrusesten Geräusche nieder. Ungehemmt wird gewürgt, geschmatzt, gegurgelt, gebellt, gegrunzt und gegackert. Unter lautem Rülpsen werden Hühnerfüße, in Tee eingelegte Eier und die allgegenwärtigen Instantsuppen verspeist. Leute führen ihre Schildkröten mit. Verschiedene Mitfahrende überbieten sich in der Lautstärke ihrer mitgebrachten Filme oder der Handyspiele. Das iPhone wird dazu entsprechend mit Zusatzboxen ausgestattet, damit auch am Ende des Waggons jeder noch etwas versteht. Nach Durchlass wird nicht gefragt, sondern durch eindringliches Drücken, Schubsen und Vorbeischieben Nachdruck verliehen. Überhaupt scheint Nächstenliebe in China wenig Platz im normalen Leben einzunehmen. Ob im Straßenverkehr, im Supermarkt oder eben im Zug - selten habe ich erlebt wie sich Menschen derart egoistisch verhalten. Es gilt das Recht des Stärkeren. 'Me first' ist das Motto.

Daraus entwickelt sich aber auch ein Lieblingsspiel von Nicole und mir. Wann immer, und das ist oft der Fall, sich Leute in der U-Bahn oder auf der Straße anschreien und sich fast an die Gurgel gehen, dichten wir liebevolle Worte in die Kommunikation hinein. Das klingt dann in etwa so: „Ach haben Sie meinen kleinen mobilen Verkaufsstand nicht gesehen, als Sie mit Ihrem Moped über den Fußweg gefahren sind? Das macht nichts, Hauptsache es ist Frieden.“ „Ja, Sie haben Recht, kann ja mal vorkommen. Schöne Waren des täglichen Bedarfs haben Sie da vor sich ausgebreitet. Naja, ich muss dann mal wieder. Einen schönen Tag Ihnen.“ Am Ende müssen wir jedesmal herzhaft lachen und kringeln uns. 

Im Herzen von China, wo Ausländer in etwa so selten vorkommen wie freie Medien, erregt unsere Mitfahrt natürlich Interesse. Zwischendurch kommt sogar eine Schaffnerin, um ausschließlich unsere Tickets zu kontrollieren. Es kann schließlich nicht sein, dass zwei Langnasen in der einfachsten Zugklasse fahren, während es am Ende des Zuges bequeme aber leider ausverkaufte Schlafwagen gibt. Jeder Mitreisende, der sich an uns vorbeischiebt – und das kommt in etwa alle 30 Sekunden vor – kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Schamlos werden wir angestarrt. Selbst Lachen, Grimassen oder eisiges Zurückstarren helfen nicht. Einige laufen tatsächlich gegen die Abteiltür, weil sie noch zehn Meter weiter zu uns zurückstarren. Zu allem Verdruss zeigt sich zudem, dass mehr als die Hälfte der Chinesen Gefallen am Glimmstengel gefunden hat. Nach vier Stunden ist der Zug in etwa so verraucht, wie eine eigentlich rauchfreie Bar in Prenzlauer Berg und die Nerven von uns ziemlich strapaziert. 


Aber es gibt auch schöne Momente. Die anderen Mitreisenden in unserem Sechsersitz versuchen uns mit einzubeziehen. Und wenn Sprache nicht funktioniert, dann tut es eben vor allem ein Lächeln oder eine kleine Geste. Auf einer der letzten Zugreisen in China zurück nach Shanghai – wir haben keine Sitzplatzreservierung – verzichtet bspw. ein junger Chinese unseretwegen auf seinen Platz und steht stattdessen sieben Stunden an der Zugtoilette. Diese Momente prägen und lassen uns China in einem ausgewogenen Licht in Erinnerung bleiben. Wir geben diese schönen Momente dadurch zurück, dass wir zwischendurch unser Essen teilen oder beim Gepäck behilflich sind. 1,80 Meter Körpergröße gelten in China immerhin etwas.

Wednesday, July 10, 2013

Die Reise beginnt


Unser Around-the-World Ticket bringt uns zunächst von London nach Shanghai. China - was erwarte ich mir eigentlich von China? Nun, keine Ahnung. China ist eines der Länder, die ich nie verstanden habe. Und egal mit wem ich rede, es geht eigentlich allen so. Keiner hat eine Vorstellung und so gut wie niemand war dort. Ich will nicht ignorant oder überheblich verstanden werden. Irgendwie kommen mir bei China aber immer wieder Attribute wie dreckig, laut, unhöflich und obrigkeitshörig in den Kopf. Ja sogar sozial inkompatibel. Und Spaß können Chinesen bei allem Arbeitseifer doch bestimmt nicht haben. Im gleichen Moment erschrickt man angesichts dieses vernichtenden Vorurteils. Das schlage ich mir als intelligenter Weltbürger lieber schnell wieder aus dem Kopf. Immerhin glaube ich von mir, tolerant und weltoffen zu sein. Zudem liest und hört man immer wieder, dass China die kommende Weltmacht ist, zumindest wirtschaftlich und militärisch. Also hinein ins Abenteuer, sich selbst ein Bild gemacht und die Vorurteile schleunigst auf den Prüfstand gestellt. 


Der erste Eindruck nach zehneinhalb Stunden Flug. Es ist heiß und schwül und das soll sich die kommenden Tage und Wochen nicht ändern. Die Einreisebeamten sind äußerst höflich und sprechen Englisch. Shanghais Infrastruktur ist modern, aus dem Blickwinkel des westlichen Reisenden extrem günstig und erstaunlich effizient. Alles ist zweisprachig ausgeschildert. Auf dem Weg mit der U-Bahn in die Innenstadt fällt auf, die Menschen sind überwiegend  jung, westlich und farbenfroh gekleidet, sie sind hilfsbereit und anstelle eines Buches sind alle in ihrem Smartphone vertieft. Sie lächeln sogar und haben Spaß. Eigentlich wie zu Hause. Obwohl, überwiegend farbenfroh und hilfsbereit sind in Berlin im Grunde wiederum eher wenige Menschen. Ein erstes Vorurteil ist also wiederlegt. Beim ersten Umsteigen dann jedoch das Erwartete. Ein- und Aussteigende kämpfen sich rüde  aneinander vorbei. Ein herrlich chaotisches Gewusel beginnt, bis alle ihren Weg gefunden haben. Als kurz darauf ein Mann unter lautem Gewürge herzhaft aufs Trottoir speit weiß ich, ich bin in China. 

Für die erste Nacht in China haben wir uns ein Hostel in der Innenstadt gesucht. Da wir nicht so recht einschätzen können, ob unsere Budgetplanung realistisch ist und wir zudem gleich das volle Backpackerfeeling bekommen wollen, haben wir uns zunächst für ein Dorm, also ein Bett in einem Schlafsaal, entschieden. Acht Euro pro Person scheinen uns ein akzeptabler Preis dafür zu sein. Das Hostel liegt in der Nähe der größten Einkaufsstraße Shanghais, der Nanjing Road, im sechsten Stock eines 28 stöckigen Hochhauses. Schnell zeigt sich, dass trotz Reservierung alle Dorms belegt sind. Für den gleichen Preis bekommen wir allerdings ein Dreibettzimmer und spätestens als wir kurz darauf dem Jetlag Tribut zollen müssen und für drei Stunden einschlafen, sind wir mit unserem separaten Zimmer und der Zwangsumbuchung sehr zufrieden.


Am Abend trifft Sam in unserem Hostel ein – eine alte Schulfreundin von Nicole aus Los Angeles. Sie lebt seit drei Jahren in Ningbo, mit über sieben Millionen Einwohnern ein kleinerer Vorort von Shanghai, und arbeitet dort als Englischlehrerin an einer internationalen Schule. Ein vor Shanghai liegender Taifun samt Starkregen und erkennbare Orientierungsschwierigkeiten des Taxifahrers lassen sie erst zwei Stunden nach vereinbarter Zeit eintreffen. Unser Magen hängt da bereits in den Kniekehlen, der Kopf dröhnt vor Müdigkeit, lauter optischen und akustischen Einflüssen und Wassermangel. Doch irgendwann finden wir uns dann doch in einem typischen chinesischen Straßenrestaurant wieder und lassen es uns bei leckeren Dumplings, eingelegten Auberginen und Rindfleisch Nudelsuppe schmecken.  In den kommenden Wochen werden Dumplings, die leckeren gefüllten Teigtaschen, überhaupt zu unserem offiziellen Lieblingsessen.
Unser Erscheinen erregt wie schon den gesamten Tag die Aufmerksamkeit der Chinesen. Unter dem Vorwand, ein Foto der Liebsten zu schießen, werden wir vom Nachbartisch aus „heimlich“ fotografiert. Verschwitzte und in meinem Fall auch bärtige Langnasen scheinen ein treffliches Fotoobjekt für die Lieben daheim zu sein. Kommen wir in einen Rahmen, womöglich über die Couch? Ein Lächeln bewirkt hier wahre Wunder. Schnell wird aus dem Versteckspiel ein ausgeprägtes Shooting. Wir beschließen, künftig zurückzufotografieren. Kurz darauf ist Tag 1 der Reise geschafft. Wir fallen tot ins Bett.


Am Tag darauf geht die Fahrt nach Ningbo, auf die südliche Seite der Hangzhou Bay. Selbstredend kannten wir Ningbo vorher nicht. Dabei hat der Großraum mehr als sieben Millionen Einwohner. Bereits während eines kurzen Zwischenstopps merken wir, es ist noch heißer als schon in Shanghai.  

Bis auf 43 Grad klettert das Thermometer. Jeden Tag zwischen 9 Uhr und bis nach 17 Uhr ist es genauso unerträglich heiß und schwül. Erschwerend kommt hinzu, dass die Luftfeuchtigkeit zwischen 80 Prozent und Volldusche liegt. Das macht jede Bewegung zur Qual. Dauerhafte Müdigkeit und Abgeschlagenheit, gepaart mit konstantem Schwitzen sind garantiert. Entsprechend sind viele Chinesen bereits weit vor sieben Uhr auf den Beinen, spielen Tischtennis, tanzen lustig choreografierte Tänze oder geben sich ganz entspannt dem Tai Chi hin. Die nächste Chance zu körperlicher Bewegung bietet sich nämlich erst wieder nachdem die Sonne am Horizont verschwunden ist. Einziger Vorteil der Hitze: Wir kommen mit einer Mahlzeit am Tag aus, was zumindest mir nicht so schlecht ansteht. Dafür bietet Sam ihre ganzen Ortskenntnisse auf und bringt uns jeden Abend in großartige Restaurants mit noch großartigerem Essen. Zudem entwickeln wir eine enge Verbundenheit zu einer amerikanischen Kaffeekette, die nicht nur leckeren Kaffee und klimatisierte Temperaturen anbietet, sondern auch freies Internet, wenn auch der freundliche Röster es nicht schafft, Facebook, Twitter oder Blogs freizuschalten. Und so führt uns der Weg in den kommenden Wochen wenn möglich einmal am Tag zu einem Starbucks. Wir nennen es unser Schlupfloch zur westlichen Welt.

Um den extremen Temperaturen wirkungsvoll die Stirn zu bieten, bringt uns Sam am ersten Tag gleich in den Ningbo Waterpark. Herausstechendes Kriterium des Waterparks sind die unzähligen Wasserrutschen, die so vom TÜV wahrscheinlich niemals abgenommen werden würden und demzufolge extrem Laune machen. Dabei lernen wir Sams Freundeskreis kennen, der sich vor allem aus Australiern, Amerikanern, Israelis und Spaniern zusammensetzt. Diese Expat-Community lebt zum Teil schon seit 20 Jahren in China, und hat – wie so oft bei Expats – vor allem mit sich selbst zu tun. Kontakt zu Chinesen gibt es in der Freizeit so gut wie nicht. 


Am letzten Tag in Ningbo schlägt Sam vor, in ein deutsches Brauhaus zu gehen. Der Braumeister, ein Chinese, der angeblich in Weihenstephan studiert hat, ist leider nicht vor Ort. Vielleicht ist aber auch besser so. Denn ohne zu übertreiben, ist es das schlechteste Bier, das ich jemals getrunken habe. Als Hobbybrauer liest man immer wieder mal von Bakterienbefall, der das Bier sauer macht. Ich konnte mir bislang nicht vorstellen, was das ist. Selbst mit meinem Hilfsequipment in der nun wahrlich nicht sterilen heimischen Küche ist mir das noch nicht passiert. Hier haben die Biere was von vergorenem Traubensaft versetzt mit Zitrone. Im Nachgang kommt zudem noch eine überraschende Seifennote hinzu. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Bier 4/5 voll zurückgegeben zu haben.