Über Chengdu, wo wir eine Pandaaufzucht besuchen, geht es mit dem Schnellzug nach Chongqing. In
Chengdu lernen wir Kien kennent, einen 18-jährigen Chinesen aus Chongqing, der
anbietet, uns in seiner Heimatstadt herumzuführen und uns in die Geheimnisse
des Hotpot einzuführen. Spät am Abend erreichen wir die Megametropole am Jangtse. Die
Stadt hat unglaubliche 38 Millionen Einwohner und die Größe von Österreich.
Fairerweise muss man hinzufügen, dass dabei auch unzählige Dörfer, Felder und
Wälder mit inbegriffen sind. Doch selbst die eigentlich Kernstadt Chongqing ist
mit rund sieben Millionen Menschen und tausenden Wolkenkratzern beeindruckend
genug. Die Innenstadt muss sich vor Hongkong, Kuala Lumpur oder Singapur nicht
verstecken. Chongqing gilt neben Shanghai als zweitteuerste Stadt Chinas. Sie
ist zudem die Hauptstadt des Hotpot, einer Art Fondue aus Chilliöl, in das man
Fleisch oder Gemüse reinhält und garen lässt. Innenschriften an Toilettenwänden
lassen allerdings eher den Schluss zu, dass es sich bei der Toilette am
nächsten Tag um den eigentlichen Hotpot handelt.
Neben der Schärfe des Essens ist es in China durchaus
relevant, was man zum Essen vorgesetzt bekommt. Als wir uns mit Kien in dem
durchaus edlen Hotpot Restaurant setzen witzel ich herum, ich könne ja mal wild
auf der Karte herumzeigen, was wir wollen. Alle lachen herzhaft, auch Kien.
Nachher kommen vielleicht noch so krude Dinge auf den Tisch wie Affenhirn,
Rinderherz oder Schweineeier. Daher überlassen wir Kien lieber die Bestellung.
Als das Essen kommt, sind wir sichtlich erstaunt über die verschiedenen Dinge,
die sich uns da bieten. Kien hat für uns folgende Leckereien bestellt:
Schafsmagen, Gänsedärme, Schafsgaumen und zur Krönung der Essens Achilessehne
vom Schwein. Daneben gibt es noch ein paar banale Dinge wie Rindfleisch,
Würstchen und Gemüse. Kien fordert uns mit Engelsblick und unnachgiebigen
Lächeln immer wieder auf, von all den
Köstlichkeiten zu probieren. Wie kann man da Nein sagen? Konsistenz, Geschmack,
allein der Gedanke daran, auf was man da kaut, sind grenzwertig. Ich esse
selten so viel Gemüse zu Abend.
Vielmehr gilt Chongqing jedoch als Ausgangspunkt für Schiffstouren
über den Jangtse durch die drei Schluchten bis hin zum Drei Schluchten
Staudamm. Der Staudamm hat das Leben der Chinesen um den Jangtse stark
verändert. Um rund 100 Meter Höhe wurde das Wasser aufgestaut und das auf einer
Länge von mehreren hundert Kilometern zwischen dem Staudamm und der Stadt Chongqing.
Die Schluchten sind daher nicht mehr so tief und atemberaubend wie noch Anfang
der 90er Jahre, aber dennoch nicht minder beeindruckend. Während das Hinterland
des Damms aufgestaut und geflutet wurde, wurden mehr als 20 Städte im Verlauf
des Jagtse überspült und an anderer Stelle wieder aufgebaut. 1,3 Millionen
Menschen wurden offiziell umgesiedelt. Die alten Städte liegen heute noch am
Grund des neuen Jangtse. Entsprechend aufgeladen war die Debatte um den
Staudamm nicht nur in China, sondern auch im Rest der Welt. Erste Planungen für
den Damm reichen übrigens bereits bis in die 1920er Jahre zurück. Ziel war es
vor allem, der ständigen Überschwemmungen Herr zu werden und den nicht enden
wollenden Energiehunger der Chinesen zu befriedigen. Beides hat zweifelsfrei
funktioniert.
Auch wir buchen uns eine solche Tour durch die Drei
Schluchten und – das wollte ich immer schon mal schreiben – schiffen uns ein
und zwar für die kommenden drei Tage, auf einer der chinesischen Flussfähren.
Gemeinsam mit fünf Dänen, einem Argentinier, zwei Schweizern und einem Briten
sowie ungefähr 400 Chinesen führt die Route flussabwärts durch beeindruckende
Schluchten, immer mal wieder unterbrochen durch vergleichsweise sinnbefreite
Besichtigungen irgendwelcher Städte oder Tempel. In unseren Augen dienen diese
Ausflüge vielmehr dem Drang der Chinesen, ständig etwas essen zu müssen oder zu
wollen. Und so bestürmen uns bei jedem Ausflug, sofort nachdem wir im Hafen angelegt
haben, hunderte fliegende Händler und bieten alle möglichen Speisen an, die von
den Chinesen gierig gekauft und verschlungen werden.
Unser Boot gehört nicht unbedingt zur Luxusklasse. Kaum
verwunderlich stellt uns unsere Kajüte daher erneut vor eine weitere Prüfung
der chinesischen Art. Denn das Loch im Badezimmer, genannt Toilette, stinkt
nicht nur zum Himmel, es muss vor allem auch benutzt werden. Der Hotpot aus
Chongqing fordert nach wie vor seinen Tribut. Die Nächte werden zur Qual. Es
ist, als ob man neben einer Kläranlage schläft. Unseren chinesischen
Mitbewohner, natürlich passionierter Raucher, stört die Geruchsbelästigung
nicht im Geringsten. Friedlich schläft er in voller Tagesbekleidung ein. Wir
bekommen hingegen kaum ein Auge zu und fragen uns, ob bei aller Budgetvorsicht
nicht doch ein anderes Schiff besser gewesen wäre. Doch wir schaffen auch diese
Hürde, sind stolz und kehren nach einer ausgiebigen Besichtigung des Staudamms per
Bus und Schnellzug nach Shanghai zurück. Sam verabschiedet sich nach einer
letzten kulinarischen Stadtführung auf Heimaturlaub nach Los Angeles. Wir hingegen
genießen unsere letzten beiden Tage in Shanghai, bevor uns das ATW-Ticket zu
unserer nächsten Station nach Hongkong bringt.
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