Unser Around-the-World Ticket bringt uns zunächst von London
nach Shanghai. China - was erwarte ich mir eigentlich von China? Nun, keine
Ahnung. China ist eines der Länder, die ich nie verstanden habe. Und egal mit
wem ich rede, es geht eigentlich allen so. Keiner hat eine Vorstellung und so
gut wie niemand war dort. Ich will nicht ignorant oder überheblich verstanden werden. Irgendwie kommen mir bei
China aber immer wieder Attribute wie dreckig, laut, unhöflich und
obrigkeitshörig in den Kopf. Ja sogar sozial inkompatibel. Und Spaß können Chinesen bei allem Arbeitseifer doch bestimmt nicht
haben. Im gleichen Moment erschrickt man angesichts dieses vernichtenden
Vorurteils. Das schlage ich mir als intelligenter Weltbürger lieber schnell
wieder aus dem Kopf. Immerhin glaube ich von mir, tolerant und weltoffen zu
sein. Zudem liest und hört man immer wieder, dass China die kommende Weltmacht
ist, zumindest wirtschaftlich und militärisch. Also hinein ins Abenteuer, sich
selbst ein Bild gemacht und die Vorurteile schleunigst auf den Prüfstand
gestellt.
Der erste Eindruck nach zehneinhalb Stunden Flug. Es ist heiß
und schwül und das soll sich die kommenden Tage und Wochen nicht ändern. Die
Einreisebeamten sind äußerst höflich und sprechen Englisch. Shanghais
Infrastruktur ist modern, aus dem
Blickwinkel des westlichen Reisenden extrem günstig und erstaunlich effizient. Alles ist zweisprachig ausgeschildert. Auf dem
Weg mit der U-Bahn in die Innenstadt fällt auf, die Menschen sind überwiegend jung, westlich und farbenfroh gekleidet, sie sind hilfsbereit und anstelle
eines Buches sind alle in ihrem Smartphone vertieft. Sie lächeln sogar und
haben Spaß. Eigentlich wie zu Hause. Obwohl, überwiegend farbenfroh und hilfsbereit
sind in Berlin im Grunde wiederum eher wenige Menschen. Ein erstes Vorurteil
ist also wiederlegt. Beim ersten Umsteigen dann jedoch das Erwartete. Ein- und
Aussteigende kämpfen sich rüde aneinander vorbei. Ein herrlich chaotisches
Gewusel beginnt, bis alle ihren Weg gefunden haben. Als kurz darauf ein Mann
unter lautem Gewürge herzhaft aufs Trottoir speit weiß ich, ich bin in China.
Für die erste Nacht in China haben wir uns ein Hostel in der
Innenstadt gesucht. Da wir nicht so recht einschätzen können, ob unsere
Budgetplanung realistisch ist und wir zudem gleich das volle Backpackerfeeling
bekommen wollen, haben wir uns zunächst für ein Dorm, also ein Bett in einem
Schlafsaal, entschieden. Acht Euro pro Person scheinen uns ein akzeptabler
Preis dafür zu sein. Das Hostel liegt in der Nähe der größten Einkaufsstraße
Shanghais, der Nanjing Road, im sechsten Stock eines 28 stöckigen Hochhauses.
Schnell zeigt sich, dass trotz Reservierung alle Dorms belegt sind. Für den
gleichen Preis bekommen wir allerdings ein Dreibettzimmer und spätestens als
wir kurz darauf dem Jetlag Tribut zollen müssen und für drei Stunden
einschlafen, sind wir mit unserem separaten Zimmer und der Zwangsumbuchung sehr
zufrieden.
Am Abend trifft Sam in unserem Hostel ein – eine alte
Schulfreundin von Nicole aus Los Angeles. Sie lebt seit drei Jahren in Ningbo,
mit über sieben Millionen Einwohnern ein kleinerer Vorort von Shanghai, und
arbeitet dort als Englischlehrerin an einer internationalen Schule. Ein vor
Shanghai liegender Taifun samt Starkregen und erkennbare
Orientierungsschwierigkeiten des Taxifahrers lassen sie erst zwei Stunden nach
vereinbarter Zeit eintreffen. Unser Magen hängt da bereits in den Kniekehlen,
der Kopf dröhnt vor Müdigkeit, lauter optischen und akustischen Einflüssen und
Wassermangel. Doch irgendwann finden wir uns dann doch in einem typischen chinesischen
Straßenrestaurant wieder und lassen es uns bei leckeren Dumplings, eingelegten
Auberginen und Rindfleisch Nudelsuppe schmecken. In den kommenden Wochen werden Dumplings, die
leckeren gefüllten Teigtaschen, überhaupt zu unserem offiziellen
Lieblingsessen.
Unser Erscheinen erregt wie schon den gesamten Tag die
Aufmerksamkeit der Chinesen. Unter dem Vorwand, ein Foto der Liebsten zu
schießen, werden wir vom Nachbartisch aus „heimlich“ fotografiert. Verschwitzte
und in meinem Fall auch bärtige Langnasen scheinen ein treffliches Fotoobjekt
für die Lieben daheim zu sein. Kommen wir in einen Rahmen, womöglich über die
Couch? Ein Lächeln bewirkt hier wahre Wunder. Schnell wird aus dem
Versteckspiel ein ausgeprägtes Shooting. Wir beschließen, künftig
zurückzufotografieren. Kurz darauf ist Tag 1 der Reise geschafft. Wir fallen
tot ins Bett.
Am Tag darauf geht die Fahrt nach Ningbo, auf die südliche
Seite der Hangzhou Bay. Selbstredend kannten wir Ningbo vorher nicht. Dabei hat
der Großraum mehr als sieben Millionen Einwohner. Bereits während eines kurzen
Zwischenstopps merken wir, es ist noch heißer als schon in Shanghai.
Bis auf 43 Grad klettert das Thermometer. Jeden Tag zwischen
9 Uhr und bis nach 17 Uhr ist es genauso unerträglich heiß und schwül. Erschwerend
kommt hinzu, dass die Luftfeuchtigkeit zwischen 80 Prozent und Volldusche liegt.
Das macht jede Bewegung zur Qual. Dauerhafte Müdigkeit und Abgeschlagenheit,
gepaart mit konstantem Schwitzen sind garantiert. Entsprechend sind viele
Chinesen bereits weit vor sieben Uhr auf den Beinen, spielen Tischtennis,
tanzen lustig choreografierte Tänze oder geben sich ganz entspannt dem Tai Chi
hin. Die nächste Chance zu körperlicher Bewegung bietet sich nämlich erst
wieder nachdem die Sonne am Horizont verschwunden ist. Einziger Vorteil der Hitze: Wir
kommen mit einer Mahlzeit am Tag aus, was zumindest mir nicht so schlecht
ansteht. Dafür bietet Sam ihre ganzen Ortskenntnisse auf und bringt uns jeden
Abend in großartige Restaurants mit noch großartigerem Essen. Zudem entwickeln
wir eine enge Verbundenheit zu einer amerikanischen Kaffeekette, die nicht nur
leckeren Kaffee und klimatisierte Temperaturen anbietet, sondern auch freies
Internet, wenn auch der freundliche Röster es nicht schafft, Facebook, Twitter
oder Blogs freizuschalten. Und so führt uns der Weg in den kommenden Wochen
wenn möglich einmal am Tag zu einem Starbucks. Wir nennen es unser Schlupfloch
zur westlichen Welt.
Um den extremen Temperaturen wirkungsvoll die Stirn zu
bieten, bringt uns Sam am ersten Tag gleich in den Ningbo Waterpark.
Herausstechendes Kriterium des Waterparks sind die unzähligen Wasserrutschen,
die so vom TÜV wahrscheinlich niemals abgenommen werden würden und demzufolge
extrem Laune machen. Dabei lernen wir Sams Freundeskreis kennen, der sich vor
allem aus Australiern, Amerikanern, Israelis und Spaniern zusammensetzt. Diese Expat-Community
lebt zum Teil schon seit 20 Jahren in China, und hat – wie so oft bei Expats –
vor allem mit sich selbst zu tun. Kontakt zu Chinesen gibt es in der Freizeit so
gut wie nicht.
Am letzten Tag in Ningbo schlägt Sam vor, in ein deutsches
Brauhaus zu gehen. Der Braumeister, ein Chinese, der angeblich in Weihenstephan
studiert hat, ist leider nicht vor Ort. Vielleicht ist aber auch besser so.
Denn ohne zu übertreiben, ist es das schlechteste Bier, das ich jemals
getrunken habe. Als Hobbybrauer liest man immer wieder mal von Bakterienbefall,
der das Bier sauer macht. Ich konnte mir bislang nicht vorstellen, was das ist.
Selbst mit meinem Hilfsequipment in der nun wahrlich nicht sterilen heimischen
Küche ist mir das noch nicht passiert. Hier haben die Biere was von vergorenem
Traubensaft versetzt mit Zitrone. Im Nachgang kommt zudem noch eine
überraschende Seifennote hinzu. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Bier
4/5 voll zurückgegeben zu haben.
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